Ein nicht ganz normaler Tag
Heute gönne ich mir etwas ganz Besonderes: ich fahre mit meinem Lieblingsmenschen zusammen an die See. Endlich wieder Salzluft schnuppern, endlich wieder die Haare vom Wind zerzausen lassen und barfuß durch den Sand gehen. Die Sonne meint es heute gut mit uns - für das Auffrischen der Sommersprossen reicht es allemal. Schnell fliegen die Socken im hohen Bogen auf die Decke, die Hosenbeine werden hochgekrempelt und die Ärmel des TShirts noch etwas höher festgesteckt. Obwohl die Sonne kräftig scheint, ist es herrlich frisch - aber ich kann es mir nicht verkneifen, mit den Füßen in das noch kalte Wasser zu gehen. Vergnügt spritzt das Wasser zwischen uns hin und her. Ich atme tief durch und genieße.
Wann hab ich das das letzte mal getan?
Ich kann mich nicht genau an das Datum erinnern, aber egal, wann es war - es ist viel zu lange her. Ich genieße es, dass mein Herz nicht nur aus Gewohnheit schlägt, sondern gerade hier besonders freudig, im Rhythmus der Wellen und im Gleichklang mit meinen Gedanken.
Fast muss ich um Atem ringen, so flott schlägt es. Sie war also doch zu lange, diese "Meer-Pause".
Ich stehe immer noch im kalten Wasser. Jetzt fangen diese kleinen Stiche an, die sich durch meine Füße ziehen - Zeit, aus dem Wasser zu gehen und mir die Sonne an Land auf den Pelz scheinen zu lassen. Während mein LIeblingsmensch schon wieder in ein Buch vertieft ist, schließe ich die Augen und bleibe im Genießer-modus.
Wir sind nicht allein!
Noch ehe ich sie sehe, höre ich sie. Ich höre munteres Kinderplappern, laut, freudig, die Wörter überschlagen sich (oder ist es nur der Wind, der einzelne Worte wegträgt?) und nur wenig später auch die Stimme einer Frau - melodisch, beruhigend, erklärend und ebenso freudig.
Ich überlege kurz, ob ich meine Augen weiter geschlossen halten sollte. Daran, meinen Gedanken weiter nachzuhängen, ist momentan eh nicht zu denken - also setze ich mich hin und schaue aufs Wasser. Aber jetzt ist da nicht mehr nur das Wasser, sondern da schiebt sich ein blondes Mädchen mit geflochtenem Zopf und ein etwas kleinerer Junge, ebenso blond, dazwischen. Sie rufen laut, finden Schätze, die sie ihrer Mutter zeigen wollen. Das ältere Mädchen hat immer wieder Ideen, was ihr Bruder spielen könnte, doch der scheint seine eigenen Ideen zu haben - es wird noch lauter.
Mütter - eine besondere Species
In der Zwischenzeit hatte die Frau ein kleines Windschutzzelt aufgebaut und eine Decke davor gelegt. Während dieser Zeit hat sie immer die Kleinen im Blick. Sie verteilt Spielzeug und gibt ruhig Antworten auf die Fragen, die das Mädchen ihr stellt. Der Junge spricht noch keine fließenden Sätze, aber das Wort Mama in unterschiedlicher Intonation kommt immer wieder vor - mal drängelnd, mal fragend, mal schreiend. Trotzdem scheint seine Mutter zu wissen, was er möchte. Sie gibt Antworten auf (für mich) ungestellte Fragen und der Kleine scheint zufrieden zu sein. Als die geschwisterliche Auffassung vom gemeinsamen Spielen zu unterschiedlich wird, lenkt die Mutter die beiden geschickt mit anderem Sandspielzeug, Steinen und Muscheln ab.
In der Zwischenzeit schaue ich fast ausschließlich zu der kleinen Familie. Es ist so schön und ich genieße inzwischen sogar die Unruhe und Lautstärke unserer Nachbarschaft.
Nicht lange nach der Ankunft der kleinen Familie kommt noch eine hinzu. Die Frauen winken sich zu und freuen sich sichtbar. Weitere zwei kleine Kinder gesellen sich zu der ersten Familie, eines läuft niedlich tapsig etwa wie der kleine junge Mann vorher. Das zweite Kind wird durch ein Tuch am Körper der Mutter gehalten und wird von ihr sanft hinter dem Windschutz abgelegt.
Was Mütter alles können!
Die drei Kleinen scheinen sich zu kennen und das muntere Spielen am Wasser kommt noch mehr in Fahrt. Das Spielzeug wird geteilt und manchmal auch verteidigt - das System verstehe ich nicht, ist aber auch egal.
Eine der Frauen gesellt sich zu den Kleinen und sie bauen zusammen eine Sandburg. Diese wird mit Muscheln verziert, die das Mädchen gesammelt hat. Zuerst mag sie ihre Schätze nicht so einfach hergeben, dann entscheidet sie sich anders und sucht einfach neue Muscheln. Ein Spielzeugbagger hilft beim Burgenbau. Dieses begehrte Spielzeug wird hart umkämpft - aber manchmal haben Mütter auch Fähigkit, zu zaubern... es erscheint ein zweiter Bagger auf der Baustelle und die Baggerfahrer sind wieder friedlich.
Nach soviel Arbeit muss auch aufgetankt werden. Eine der Frauen zaubert Kekse und andere Snacks aus ihrer scheinbar unendlich großen Strandtasche, sowie Getränke für alle. Das fröhliche Geplapper verlagert sich auf die Strandmuschel und die Decken. Plötzlich stürzt sich eine Möwe auf das Keksangebot und fliegt laut schreiend mit der Beute davon. Die Kinder schreien vor Schreck - auch das kleine Baby macht aus Sympathie mit. Sofort sind beide Mütter mit Beruhigen der Kids beschäftigt, aber auch damit, die immer mehr werdenden Möwen zu verdrängen.
Meine Aufmerksamkeit geht von den quirligen Kleinen eher zu den beiden Müttern. Beide sehen so aus, als ob sie nicht nur die letzte Nacht nicht wirklich durchgeschlafen haben. Diese Wahrnehmung begründet sich auf dem einen oder anderen Gähnen und auch einer kaum wahrnehmbaren, kurzen Abnahme der Körperspannung, die aber sofort wieder der der Aufmerksamkeit und Präsenz im Hier und Jetzt weicht.
Erinnerungen
Solange ich den beiden Frauen mit ihren Kindern zuschaue bin ich fasziniert von ihrem Ideenreichtum und ihrer Kreativität, mit den Kindern zu spielen, etwas zu erklären, Streit zu schlichten oder Versorger mit Eßbarem zu sein. Am Ende der verbrachten Zeit am Meer gibt es (ganz natürlich) frische und trockene Sachen zum Anziehen. Die beiden Mütter sind bestens vorbereitet und ihre Geduld scheinbar grenzenlos.
Ich denke zurück an die Zeit, als unsere Kinder klein waren und muss schmunzeln. Sofort fallen mir Gespräche mit unseren inzwischen erwachsenen Kindern ein, die mir einzelne Situationen ins Gedächtnis rufen, die in unserer Erinnerung unterschiedlich bewertet wurden... und ich fänds schon lustig, ob es in diesen Familien später auch unterschiedliche Interpretationen von gemeinsam erlebten Situationen gibt, die wiederum dann diese Familie schmunzeln lässt.
Nächstes Wochenende wird hier in Deutschland der Muttertag gefeiert. Ich bin mir nicht mal richtig sicher, ob "gefeiert" der richtige Ausdruck ist. Mütter sind so vieles gleichzeitig: Beschützerin, Köchin, Erzieherin, Lehrerin, Restaurateurin, Friseurin, Modedisignerin, Reinigungsfachkraft, Krankenschwester, Taxifahrerin, Beraterin, Psychologin, Mangerin, ... und manchmal einfach nur Zauberin.
So, wie diese alltägliche Situation am Meer mir wieder einmal vor Augen brachte, wieviel Frauen leisten... wie alltäglich es für uns Mütter ist, immer ansprechbar zu sein, immer "da zu sein" und doch nicht sein eigenes Ich zu verlieren, so wünsche ich euch ein Verstehen, Vergeben und Lieben.
Ja, Mütter sind es Wert, gefeiert zu werden, aber ein wenig mehr Wertschätzung auch an allen anderen Tagen tut jeder Mutter gut. Ich wünsche dir viel Spaß und Kreativität, dieser Wertschätzung mit deiner Kreativität, vielleicht kleinen Gesten , vielleicht auch Blumen Ausdruck zu verleihen.
Bleibt behütet,
eure Sylvi